Mehr als 4500 Jahre alt und rund 180 Kilometer lang – eine riesige Seegraswiese in der als UNESCO-Weltnaturerbe geschützten Shark Bay vor der westaustralischen Küste ist die wohl größte Pflanze der Welt.
Biologinnen und Biologen der University of Western Australia (UWA) entdeckten bei der Vorbereitung eines Meeresschutzgebiets den uralten Seegrasteppich, der eine Fläche von gut 200 Quadratkilometern in den flachen Gewässern der Bucht bedeckt. Durch einen Zufall fanden die Forschenden heraus, dass es sich bei dem Seegras der Art Posidonia australis um ein und dieselbe Pflanze handelt. Dies teilte die Universität in einer offiziellen Mitteilung am Mittwoch mit.
Evolutionsbiologin Elizabeth Sinclair von der UWA School of Biological Sciences erklärte, das Team habe unter der Wasseroberfläche zahlreiche Proben genommen, um zu bestimmen, welche Pflanzen für Projekte zur Rekultivierung in der Region geeignet seien. "Wir werden oft gefragt, wie viele verschiedene Pflanzen in Seegraswiesen wachsen. Diesmal haben wir genetische Werkzeuge benutzt, um das zu beantworten."
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sammelten dazu an verschiedenen Orten und in der Umgebung der Bucht Seegrassprossen. Aus diesen erstellten sie eine Art "genetischen Fingerabdruck" mit 18.000 genetischen Markern, erklärte die studentische Hilfskraft Jane Edgeloe, die nun Hauptautorin einer in der Fachzeitschrift "Proceedings of the Royal Society B" veröffentlichten Studie ist.
Ergebnis: Die entnommenen Triebe waren genetisch alle identisch. "Das hat uns umgehauen!“, so Edgeloe, "Eine einzige Pflanze hat sich in der Shark Bay über 180 Kilometer ausgebreitet und ist damit die größte bekannte Pflanze der Erde." Der riesige Seegrasteppich sei ganz offenbar aus einem einzelnen Keimling entstanden. Dafür müsse die Pflanze bereits 4500 Jahre lang gewachsen sein.
Dass eine Seegraspflanze genetisch identische Ableger bilde, sei erst einmal nichts Ungewöhnliches. Doch was diese Seegraspflanze, abgesehen von ihrer enormen Größe, von ihren Verwandten im Ozean unterscheide, sei, dass sie doppelt so viele Chromosomensätze in ihren Zellen habe. Sie ist also polyploid, so Elizabeth Sinclair.
Eine Verdoppelung der Anzahl der Chromosomen kann auftreten, wenn sich diploide "Eltern"-Pflanzen – also Pflanzen mit zwei Chromosomenpaaren – kreuzen. "Der neue Keimling enthält 100 Prozent des Genoms von jedem Elternteil, anstatt die üblichen 50 Prozent zu teilen", so Sinclair. "Polyploide Pflanzen leben häufig an Orten mit extremen Umweltbedingungen. Sie sind oft unfruchtbar, können aber weiterwachsen, wenn sie nicht gestört werden. Genau das hat dieses riesige Seegras getan."
Die äußerst widerstandsfähige Pflanze scheine eine große Bandbreite an Temperaturen und Salzgehalten sowie extrem intensives Licht auszuhalten – Bedingungen, die für die meisten Pflanzen normalerweise zu großen Stress bedeuten würden.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler planen nun weitere Forschung in der Shark Bay durchzuführen, um zu verstehen, wie es das riesige Seegras schafft, unter solchen Bedingungen zu überleben und weiter zu wachsen.
Erst vor wenigen Jahren hatte ein Forschungsteam einen jahrtausendealten Verbund von 47.000 Zitterpappeln in Nordamerika entdeckt, der identisches Erbgut aufwies und unterirdisch durch Wurzeln verbunden ist. Dieser "Wald aus einem Baum" wiege 5,9 Millionen Kilogramm und wachse auf 43 Hektar, schrieben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Utah State University 2018 im Fachblatt "PLOS One".
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